15 February 2014 – 22 March 2014

Jan Kiefer
Vulgar Display of Power

Oft sind es Details, die eine Geschichte erzählenswert machen. Dazu gehören eben genau jene Kleinigkeiten, die man erst nach einiger Zeit erkennt, die man dann aber auch verinnerlicht. Nehmen wir also mal an, es gibt so eine Geschichte, die darauf beruht die Kleinigkeiten und die Details zu beachten. Das Ganze spielt mehr oder weniger im Jetzt und auch mehr und weniger in unserer Umgebung, rein geographisch gesehen. Unweit einer größeren Stadt liegt ein kleines Dorf. Die Bewohner dieses Dorfes würden es selber wohl kaum als Dorf bezeichnen, vielmehr als eine Ansammlung von Häusern. Einig sind sich die Bewohner dieses Dorfes nur selten, die meisten davon sind sehr alt und wenige mittleren Alters und alle sehr griesgrämig. Diese Uneinigkeit kommt dann zum Vorschein, wenn man ihnen irgendeine Frage zu ihrer Heimat stellt. Einig sind sich aber alle, wenn man danach fragt, wo man denn in diesem Dorf, der Ansammlung von Häusern, etwas trinken kann. Blitzschnell kommt dann die Antwort, ganz ohne zögern. Geh ins „Reineke“, wohin denn sonst, heißt es dann. Nun ergab es sich, dass ein junger Mann eines Tages in dieses kleine Dorf kam und etwas trinken wollte und eben im „Reineke“ landete. Der junge Mann öffnete die alte hölzerne Tür, trat hinein in ein eher dunkles Kabäuschen und setzte sich an die Bar, die wohl hundert Jahre alt zu sein schien. Er merkte, wie ihn die Gäste oder besser gesagt Bewohner, schließlich waren die alle jeden Tag hier, so schien es, musterten. Er ignorierte es. Er wartete ein wenig und ein alter Mann stellte sich vor ihn, der mindestens so alt wie der hölzerne Tresen schien. „Ja“, hieß es. „Ein Bier“, antwortete er. Das war es auch schon an Dialog für die nächsten Stunden. Der junge Mann saß also am Tresen und schaute sich um, nicht zu auffällig versteht sich. Er trank sein Bier und bestellte ein neues. Sagen musste er aber nichts mehr, denn ein Fingerzeig auf das leere Glas und ein Nicken reichte. So verstand man sich. Es gab nicht wirklich viel zu sehen in dieser tristen, gar freudlosen Wirtschaft. Doch was ihm auffiel, und das interessierte ihn mehr und mehr, waren diese kleinen Schnitzereien in diesem alten Holztresen. Manche schienen wirklich herausgeschnitzt zu sein und andere eher lieblos herausgekratzt; mit Fingernägeln die wohl lang und stabil genug schienen Holz zu bearbeiten. Es gab ganz verrückte Zeichen zu sehen, Namen zu lesen und Bilder zu entdecken. Alles war sehr simpel und sehr einfach und auch nicht zu vergleichen mit den Sprüchen oder Tags die er aus den Toiletten der Clubs und Bar in der Stadt kannte. Es war simpel, doch so wahnsinnig aussagekräftig.

 

Es schien fast so, als erzählte dieser Tresen die Geschichte dieser Wirtschaft, die persönliche Geschichte der Familie, die das „Reineke“ eröffnete. Alles arrangierte sich um die Mitte des Tresens, wo man Initialen erkennen konnte, vermutlich die der Inhaber. Seit fast 80 Jahren schien es diese Bar hier zu geben. Um die Buchstaben und Jahreszahlen herum fanden sich kleine Bildergeschichten. Ein Paar war zu sehen, in Trachten tanzend und danach vor einem Haus, das sehr ähnlich dem war, wo er nun jetzt seit gut zwei Stunden saß. Die kleine Schnitzerei eines Kindes folgte, das mit zwei Hunden spielte. Um so genauer er hinschaute, um so mehr konnte er entdecken. Die Eltern wurden älter, das Kind, ein Junge, größer. Es ging auf Reisen, sah die Welt, segelte auf den Ozeanen und bestieg Berge und es kam zurück, zu jenem Haus, in welchem es geboren war. Die Eltern starben, der Sohn heiratete und dann war er plötzlich allein. Alles schien in Bewegung zu sein, die Geschichte von allein erzählt zu werden. Und doch hörte sie auf, sie ging einfach nicht weiter. All diese kleinen Schnitzereien, die ganz ohne Text auskommen und doch so viel erzählen, erinnerten ihn an Fabeln und Märchen und so langsam begann er sich zu fragen, ob der junge Mann, der heute viel älter sein müsste, noch lebte.

 

Er trank sein Bier aus und wollte gerade ein neues bestellen, als er merkte, dass der Wirt schon vor ihm stand und ihn beobachtete. Es schien so, als hätte er ihn schon eine ganze Weile beobachtet, nur fiel es ihm nicht auf, da er so vertieft die Geschichte las. Der alte Mann, dessen Gesicht offensichtlich von der Zeit geprägt war, stellte ihm ein Bier hin, schaut ihm tief in die Augen und murmelte: „Das sind nur Bilder an einem alten Tresen. Nur Vergangenheit, nichts als Vergangenheit. Das geht auf’s Haus.“

 

– Fabian Schöneich


 

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Reineke, 2013, brass, 13 x 3 x 5 cm

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Kästli Zwei, 2013, wood, paint, feathers, leather, inkjet prints, stickers, metal, 115 x 41x 44 cm; Kästli Eins, 2013, wood, rattan, fabric, fluorescent tubes, paint, acrylic, inkjet prints, 106 x 34 x 36 cm; Vulgar Display of Power 3, 1/3, 1996/2013, framed c-print, 40 x 30 cm

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Kästli Vier, 2013, chipboard, wood, metal, fabric, paint, inkjet prints, stickers, 72 x 48 x 57 cm; Die Singende Tanne, 2014, HD Film 4″1′

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Selbstportrait mit Hund, 2013 , woven polyester carpet, 220 x 140 cm

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Vulgar Display of Power 1, 1/3, 1996/2013, framed c-print, 40 x 30 cm; Vulgar Display of Power 2, 1/3, 1996/2013, framed c-print, 40 x 30 cm